Die paradoxe Vollgeld-Diskussion

 
   

Mit Vollgeld zu einem Kapitalismus in den Farben der DDR?

 
   
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    © Christian Müller 2018  
         
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Vollgeld-Initiative: Chancenlos aber unterhaltsam

Von Karl Marx stammt das berühmte Bonmot, dass sich alle grossen weltgeschichtlichen Tatsachen sozusagen zweimal ereignen, das eine Mal als Tragödie, das ander Mal als Farce. Für die Aktivisten der Vollgeld-Initiative dürfte die Aussicht auf eine Tragödie inzwischen eine ziemlich konkrete Gestalt angenommen haben.
 
    Denn die Vollgeld-Inititative hat an der Urne keine Chance, so viel ist klar. Angesichts der langen Zeit seit dem Beinahe-Ende der UBS, einem bewährtem Konservatismus und vor allem aufgrund der geballten Gegnerschaft der wichtigsten Schweizer Institutionen, der volkswirtschaftlichen Professorenzunft und der Finanzindustrie sowieso, ist das Abstimmungsergebnis für keine Überraschungen gut.  
    Doch auch wenn sich das Abstimmungsergebnis wie eine Tragödie anfühlt, so haben die Initianten eines ganz sicher bewirkt: Kaum jemand, ob Laie oder Experte, konnte sich in den vergangenen Wochen der Diskussion über unser Geldsystem entziehen. Und diese treibt zuweilen seltsame Blüten.  
    Besonders die Vollgeld-Gegner haben es sich nicht immer leicht gemacht. Mit viel Energie und unerschütterlichen Selbstvertrauen haben sie ein ums andere Mal Argumente FÜR die Initiative bemüht, wo sie sie doch eigentlich bekämpfen wollten. Doch hat das zum Glück - oder Unglück, je nach Blickwinkel - nichts am Ausgang der Abstimmung geändert und in jedem Fall für beste Unterhaltung gesorgt.  
    Zwei paradoxe Argumente der Vollgeld-Gegner sollen hier erwähnt werden. In beiden Fällen geht es um die Wähler und ihre Ängste für die Vollgeld-Ja respektive Vollgeld-Nein die jeweils die passende Lösung darstellen soll. Mit dem Angebot, die Angst zu nehmen, sollte es gelingen, den Stimmbürger auf die eigene Seite zu ziehen. Angst Nummer eins ist die Geldschöpfung «aus dem Nichts», die mantrahaft von den Vollgeld-Befürwortern bemüht wird. Angst Nummer zwei ist die Versicherung, Vollgeld würde zum «gefährlichsten Experiment mit unsicherem Ausgang».  
    Diese beiden Argumente haben nicht nur gemein, dass sie bestenfalls irreführend und schlimmstenfalsch einfach falsch sind, sondern auch, dass sie völlig paradox bewirtschaftet werden. Aber der Reihe nach.  
       
   

Die Angst vor dem Nichts: Das Banken-als-Vermittler-Paradox

Vollgeld-Befürworter versuchen immer wieder, mit der Erkenntnis zu schocken, dass Geschäftsbanken Geld «aus dem Nichts» schaffen könnten. Diese Privileg steht im Kontrast zur Alltagserfahrung der Menschen, die für ihr Geld hart arbeiten müssen. Warum also sollte den Banken erlaubt sein, was dem Normalsterblichen verwehrt ist? Und wäre es nicht sinnvoller, die Gewinne des Gelds aus dem Nichts direkt der Gesellschaft zukommen zu lassen, schliesslich ist es ja «unser Geld», nicht das Geld der Banken?
 
    Als Antwort auf diese Fragen wäre es vielleicht angemessen, darauf zu verweisen, dass dieses Geld keinswegs «aus dem Nichts» kommt, oder dass diese Geldschöpfung durch Kredit nicht nur die Risiken einer Finanzkrise erhöht, sondern auch der Treibstoff für den kapitalistischen Turbolader liefert, ohne den wir nicht den Wohlstand hätten, den wir geniessen.  
    Einige Vollgeld-Gegner argumentieren tatsächlich so. Interessant sind jedoch auch die Reaktionen etlicher anderer. Erinnert sei zunächst jedoch an die Lösung, die die Vollgeld-Inititative vorschlägt: Geld als Kredit wird nur von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) geschaffen und als «echtes» Geld auf das Konto bei der Geschäftsbank eingezahlt. Dieses Geld ist dann automatisch eine direkte Forderung an die SNB, die lediglich von der Geschäftsbank treuhänderisch verwaltet und im Auftrag der Kunden hin- und hergeschoben wird.  
    Wollen Geschäftsbanken in diesem Vollgeld-System selber Kredite vergeben, sind sie darauf angewiesen, dass ihre Kunden zuerst ihre angesparten Vollgeld-Franken einzahlen, damit sie danach an Kreditnehmer weitergereicht werden können.  
    Wer nun denkt, dass Vollgeld-Gegner dieses Prinzip ablehnen, der wird durch prominente Beispiele widerlegt. So zitiert die Aargausiche Zeitung den CEO der Neuen Aargauer Bank, Roland Herrman, wie folgt: wir [können] «nicht einfach Geld schöpfen», sagt Herrmann. Vielmehr brächten die Sparer Geld zur Bank, das diese wiederum Kreditnehmern zur Verfügung stellt.  
    Herrmann meint hier notabene vom gegenwärtigen System zu sprechen, nicht vom Vollgeld-System, das er ablehnt. Doch sein Versuch, das Geld aus dem Nichts als Illusion hinzustellen, ist in Wahrheit nichts anderes als die Anpreisung des Vollgeld-Systems, das er gar nicht unterstützen möchte. Weitere unfreiwillge Unterstützer finden sich überraschender Weise nicht nur an der Spitze von Banken in der Provinz. Selbst das Direktorium der SNB hat gelegentlich vergleichbar argumentiert.  
    Paradoxer Weise verbreiten in diesem Fall folglich Vollgeld-Gegner Argumente, die eigentlich für Vollgeld sprechen. Denn wenn die Welt, die Herrmann beschreibt, die vermeintlich gute Welt ist und diese wiederum in Tat und Wahrheit eine Welt des Vollgeldes, dann steht er als Gegner eigentlich auf der Seite der Befürworter.  
       
   

Die Angst vor dem Experiment: Das Das-hat-es-nie-gegeben-Paradox

So selbstgewiss die Front der Vollgeld-Gegner auch erscheint, in einem Punkt scheint sie eine schwache Stelle zu haben: Was ist, wenn die Initianten Recht haben? Vielleicht ist Vollgeld ja tatsächlich die beste Lösung für die immanenten Risiken des Finanzsystems? Ganz genau weiss man es nicht, denn der schlagende Beweis scheint zu fehlen.

 
    Angesichts dieses Mangels greifen die Vollgeld-Gegner zu einem bewährten Kniff. Wenn kein passendes Negativbeispiel parat ist, dann wird Angst vor dem Unbekannten heraufbeschworen.Vollgeld sei, so die Behauptung, «ein Sprung ins eiskalte Wasser», ein «Experiment mit unsicherem Ausgang». Oder anders gesagt: Wenn Vollgeld eine solche Bombenidee wäre, hätte dann nicht irgendein Land weltweit das System schon längst eingeführt?, um mit den Worten des SNB-Präsidenten, Thomas Jordans, den Widerspruch auf den Punkt zu bringen.  
    Jordan setzt bei seiner Frage interessanter Weise voraus, dass Vollgeld nur dann eingeführt werden würde, wenn es eine gute Idee ist. Dafür kennt die Weltgeschichte tatsächlich kein Beispiel - was sie auch nicht sollte, wenn die Vollgeld-Kritiker Recht haben.  
    Was aber, wenn Vollgeld eine schlechte Idee ist, und dennoch eingeführt würde? So unwahrscheinlich es nach all den bereits gelaufenen Diskussion klingen mag, doch genau dafür gibt es ein Vorbild: Vollgeld, das keine «Bombenidee» war und dennoch existierte. Dieses Geld war die «Mark der Deutschen Notenbank» (später Staatsbank) der Deutschen Demokratischen Republik, kurz DDR.  
   
Vollgeld historisch
 
   
Historisches Vollgeld: Mark der Deutschen Notenbank der DDR
 
    Die DDR-Mark erreichte die Geschäftsbanken (faktisch ausschliesslich Sparkassen), indem den DDR-Unternehmen von der Staatsbank Investitionsfonds (Kredite) zur Verfügung gestellt wurden, mit denen sie ihre Auslagen, einschliesslich Löhne bestritten. Als Lohnzahlungen landete dann dieses Geld direkt auf den Konten des Publikums. Da es direkt von der Zentralbank geschöpft wurde, und den Banken die Kreditgeldschöpfung nicht möglich war, war dieses Buchgeld nichts anderes als Vollgeld.  
    Paradoxer Weise blenden die Vollgeld-Gegner diese historische Vollgelderfahrung aus und verweisen stattdessen nebulös auf eine unbestimmte Dystopie, die Vollgeld mit sich bringen würde. Sie geben damit der Spekulation über einen guten Ausgang eines Schweizer Vollgelds mehr Raum als angesichts der realen historischen Erfahrung gerechtfertigt wäre. Damit stehen sie erneut und sicher nicht ganz freiwillig viel näher an der Position der Initianten als es ihnen lieb sein dürfte.  
       
   

Zwei Seiten einer Medaille

 
    Das Ende des DDR-Vollgelds ist längst Geschichte und schnell erzählt. Obwohl die DDR-Mark der Staatsbank zweifelsohne absolut sicher war vor Finanzkrisen und auch kein Verlust des Geldes durch allfällige Bankenpleiten drohte, wählten die Bürger, nachdem sie die DDR-Regierung 1989 gestürzt hatten, grossmehrheitlich genau die Partei, die ihnen versprach, das sichere Vollgeld gegen unsicheres Fiat-Geld, die D-Mark, einzutauschen.  
    Diese Wahl fand am 18. März 1990 statt und bereits am 1. Juli 1990 war das vierzigjährige Vollgeld-Experiment demokratisch gebodigt.  
    Wie alle Vergleiche hinkt natürlich auch dieser Vergleich und der Vollgeld-Initiative kann nicht vorgeworfen werden, Planwirtschaft in der Schweiz einführen zu wollen. Doch in einem Punkt ist das historische Beispiel gleichwohl lehrreich. Vollgeld ist «geeignet» für eine weitgehend geschlossene Volkswirtschaft ohne grosse innere Dynamik. Das Lebenselixier des modernen Kapitalismus aber ist und bleibt der Kredit. Jeder Versuch, der Wirtschaft diesen Lebenssaft zu nehmen, wird im wahrscheinlichen Fall in irgendeiner Form der Stagnation enden. Im günstigeren Fall - auch dafür gibt es historische Beispiele - werden die Unternehmen zu sehr hohen Kosten das Elixier woanders beschaffen.  
    Wenn Vollgeld also wirklich den zwingenden Rahmen für die Wirtschaft bilden soll, so müsste diese Wirtschaft erst einmal in diesen Rahmen passen. Doch das geht nur mit weniger Wachstum und entsprechend weniger Wohlstand.  
    Der Urnengang ist somit viel weniger eine Abstimmung über ein Geldsystem. Vielmehr geht es um die Frage, nach dem besseren Kapitalismus. Vollgeld möchte die Unsicherheit, die der moderne Finanzkapitalismus erzeugt, ausschalten. Die Chancen stehen gut, dass das gelingen würde. Allerdings hat Unsicherheit immer zwei Seiten. Vollgeld fokussiert mehr oder weniger einseitig auf die negativen Seiten; die Möglichkeit von Krisen und Inflation. Mit diesem Fokus gerät allerdings die positive Seite der Unsicherheit fast völlig aus dem Blick.  
    Denn das «Geld aus dem Nichts», der Kredit, ist natürlich nicht nur für Finanzmarktkrisen gut, sondern vor allem auch für Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt. Die (un)angenehme Wahrheit ist darum sehr schlicht. Wenn zum einen mit Vollgeld der Finanzkapitalismus sicher gemacht wird, dann werden wir nicht nur vor Finanzmarktkrisen geschützt sondern ebenso vor den Vorteilen einer dynamischen, innovativen Wirtschaft. Wenn wir dagegen beim Fiat-Geld bleiben, dann werden wir sowohl Finanzkrisen als auch wachsenden Wohlstand haben.  
       
   

Keine Tragödien

Für die Vollgeld-Gegner würde ein Abstimmungs-JA, so unwahrscheinlich es auch ist, dennoch keinesfalls in einer Tragödie münden. Es würde allenfalls zu einer Farce reichen, denn das erste Mal hat die Geschichte sich bereits ereignet. Doch auch für die Initianten wird es keine Tragödie geben denn das absehbare NEIN wird sie und die übrige Schweiz vor einem Kapitalismus in den Farben der DDR bewahren. Und das ist wirklich nicht die schlechteste Perspektive.
 
       
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    Verweise  
    Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852), MEW Bd. 8, S. 115  
    Ernst Baltensperger: «Vollgeld macht das System nicht sicherer», Finanz und Wirtschaft, 12.5.2018.  
    Thomas Jordan: Das Geld der Bürger würde an Wert verlieren, Blick, 19.05.2018.  
    Rudolf Strahm: Das gefährliche Vollgeld-Experiment, 14.5.2018.  
       
    © Christian Müller 2018  
    Jacobs University Bremen  
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